Price – Kuss der Ewigkeit

Aus: Kalayna Price, Der Kuss der Ewigkeit (Blanvalet, 2011), S. 11-13

Vorsichtig stieg ich auf die Klobrille und zog die Knie an die Brust, damit ich durch den Spalt unter den Wänden der Kabine nicht zu sehen war. Um mich herum wurde sich über alles Mögliche beschwert, angefangen von der Warterei bis hin zu dem trüben Wetter. Ich schloss die Augen und blendete die Stimmen aus. Ich musste mich auf meine Mitte konzentrieren. Geistig streichelte ich die angespannte Energie in mir. Sie brodelte. Breitete sich aus. Ich war auf den Schmerz vorbereitet, dennoch sog ich heftig die Luft ein, als die Energie an die Oberfläche brach.

Ein scharfer, stechender Schmerz schoss meinen Rücken entlang, und die Haut platzte auf. Meine Kleider verschwanden, wie immer, wenn ich mich verwandelte. Aus meiner Kehle stieg ein zitterndes Wimmern empor, und ich drängte es zurück, dennoch schlüpfte es mir über die Lippen, als sich meine Haut zurückzog und umstülpte. Meine Gelenke knackten laut, als sie sich verformten.

Wieder hämmerte jemand an meine Tür. Konnten sie das schmatzende Geräusch hören, mit dem sich meine Muskeln und Organe neu anordneten? Hoffentlich waren sie nur ungeduldig. Dann kamen die Sekunden der Verwandlung, in denen ich nichts mehr von meiner Umgebung wahrnahm.

Die Haut schloss sich wieder um meinen Körper, dann rückte die schmutzige Kabine zurück in mein Blickfeld. Ich rutschte mit dem rechten Bein ab und fiel bis zu den Hüften in die Toilettenschüssel. Fauchend kämpfte ich mich über die Klobrille und landete mit einem feuchten Platschen auf den Fliesen.

Na toll, jetzt sah ich wie eine ertrunkene Ratte aus.

Mein Schwanz zuckte, ich schüttelte die Hinterbeine und versuchte, so viel Wasser wie möglich aus dem Fell zu bekommen, erreichte damit allerdings nur, dass die dreckige Fliese noch nasser wurde. Meine Hinterpfote rutschte aus und hinterließ graue Schlieren auf der braunen Kachel.

Widerlich.

Ich wandte den Kopf nach hinten, doch dann zögerte ich. Wollte ich mir wirklich schnell das Fell putzen? Das war Wasser aus der Toilette. Besser, ich hatte es auf dem Fell als auf der Zunge, oder etwa nicht? Einen Augenblick lang rang ich mit diesem Gedanken, da mein Instinkt von mir verlangte, diese ekelhafte Substanz loszuwerden.

»Ist da wer drin?« Jemand rüttelte an der Tür.

Jäh kehrte meine Aufmerksamkeit zu wichtigeren Dingen zurück – die Zeit drängte, die Fellpflege würde warten müssen. Indem ich mich in meine zweite Gestalt verwandelte, ging ich ein großes Risiko ein. Falls der Jäger mich fand, wäre ich nicht in der Lage, mich zu verteidigen – zumindest nicht auf nennenswerte Weise, und niemand würde etwas dabei finden, wenn er eine Katze jagte. Aber ich musste aus dieser U-Bahnstation raus.

Als ich unter der Toilettentür hervorkroch, zeigte ein Kind mit dem Finger auf mich.

»Schau mal, Mami, eine Miezekatze!«

Ich schlenderte näher an das Mädchen heran, blieb aber knapp außer Reichweite – kleine Kinder neigten dazu, einen am Schwanz zu ziehen.

»Bleib weg davon«, sagte ihre Mutter und zog das Kind zurück. »Sie hat vielleicht Tollwut.«

Meine Mundwinkel zuckten, doch ich unterdrückte das Verlangen, angesichts dieser Beleidigung zu fauchen. Feindseligkeit brachte mich auch nicht weiter.

Also strich ich schnurrend um die Beine der nächsten Dame in der Schlange. Angewidert presste sie sich ein Taschentuch vor die Nase und wich zurück. Großartig.

Wer war meine meistversprechende Fahrkarte nach draußen? Da sah ich eine Frau, die sich gerade die Hände wusch. Sie war einkaufen gewesen, und zu ihren Füßen standen mehrere große Einkaufstüten. Ich schlich hinüber, sprang in eine schicke weiße Tüte und rollte mich neben einer Hutschachtel zusammen, in der Hoffnung, dass sie das zusätzliche Gewicht nicht bemerken würde.

Als sie ihre Sachen aufhob und aus der Toilette eilte, musste ich mein Gewicht etwas verlagern, um den Inhalt auszubalancieren. Die Tüte schwang in ihrem Griff hin und her und schleuderte mich gegen etwas Hartes. Das Drehkreuz war ein Albtraum. Sie schob sich hindurch, und eine der Schachteln quetschte mir die Luft aus den Lungen. Als die Taschen wieder frei schwangen, glaubte ich, das Schlimmste überstanden zu haben, doch nun ließ das Schaukeln meinen Magen rebellieren.

Nein, ich werde mich nicht übergeben. Ich weigere mich.

Ich übergab mich mitten über ihre Hutschachtel.

 

 

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