Carriger – Glühende Dunkelheit

Aus: Gail Carriger, Glühende Dunkelheit (Blanvalet, 2011), S.6-9

Noch nie hatte ein Vampir versucht, Miss Tarabotti zu beißen. Natürlich kannte sie den einen oder anderen vom Hörensagen und war mit Lord Akeldama befreundet. Wer war nicht mit Lord Akeldama befreundet? Aber kein Vampir hatte je den Versuch gewagt, von ihr zu trinken!

Deshalb sah sich Alexia, die Gewalt zutiefst verabscheute, dazu gezwungen, den Schurken in die Nasenlöcher – einer empfindlichen und demzufolge schmerzhaften Gegend – zu greifen und ihn auf diese Weise von sich wegzuzerren. Er stolperte über den umgestürzten Teewagen, verlor auf für einen Vampir erstaunlich ungraziöse Weise das Gleichgewicht, stürzte zu Boden und landete mitten auf einem Teller mit Siruptorte.

Darüber war Miss Tarabotti zutiefst bekümmert. Sie hegte eine besondere Vorliebe für Siruptorte und hatte sich schon darauf gefreut, genau jenen Tellervoll zu verspeisen.

Entschlossen griff sie nach ihrem Sonnenschirm. Es war fürchterlich geschmacklos von ihr, auf einer Abendveranstaltung einen Sonnenschirm bei sich zu tragen, doch Miss Tarabotti ging kaum jemals ohne ihn irgendwohin. Er war ganz nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltet: eine Kreation aus schwarzen Rüschen mit aufgenähten Stiefmütterchen aus violettem Satin, einem Gestänge aus Messing und einer silbernen Spitze, die mit Schrotkugeln beschwert war.

Sie hieb dem Vampir damit auf den Kopf, während dieser versuchte, sich aus seiner frisch eingegangenen intimen Beziehung mit dem Teewagen zu lösen. Die Schrotkugeln verliehen dem Messingschirm gerade genug Gewicht, um ein herrlich befriedigendes Donk zu erzeugen.

»Manieren!«, belehrte ihn Miss Tarabotti.

Der Vampir heulte vor Schmerz auf und setzte sich erneut rücklings in die Siruptorte.

Diesen Vorteil nutzte Alexia und ließ einen heftigen Stoß zwischen seine Beine folgen. Sein Geheule kletterte eine Oktave höher, und er krümmte sich in embryonaler Stellung zusammen. Miss Tarabotti war zwar eine anständige englische junge Dame, einmal davon abgesehen, dass sie keine Seele hatte und zur Hälfte Italienerin war, doch sie verbrachte beträchtlich mehr Zeit als die meisten anderen jungen Damen damit, zu reiten und spazieren zu gehen, und war deshalb unerwartet kräftig.

Miss Tarabotti machte einen Satz nach vorn – soweit man in voluminösen dreilagigen Unterröcken, drapierter Tournüre und einem gerüschten Taftkleid überhaupt einen Satz machen konnte – und beugte sich über den Vampir. Er hielt seine unziemlichen Körperteile umklammert und krümmte sich windend. In Anbetracht seiner übernatürlichen Heilungsfähigkeit würde seine Pein nicht lange anhalten, doch in der Zwischenzeit schmerzte es höchst empfindlich.

Alexia zog eine lange hölzerne Haarnadel aus ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur. Errötend über ihre eigene Kühnheit riss sie seine Hemdbrust auf, die billig und übertrieben gestärkt war, und piekste ihn damit in die Brust, direkt über dem Herzen. Miss Tarabottis Haarnadel war besonders lang und spitz. Vorsorglich vergewisserte sie sich, dass sie mit der freien Hand seine Brust berührte, da nur Körperkontakt seine übernatürlichen Fähigkeiten aufhob.

»Unterlassen Sie auf der Stelle diesen grässlichen Lärm!«, wies sie die Kreatur an.

Der Vampir hörte mit seinem Gekreische auf und lag vollkommen bewegungslos da. Seine schönen blauen Augen fingen leicht an zu tränen, während er unverwandt auf die hölzerne Haarnadel starrte. Oder, wie Alexia sie gern zu nennen pflegte, ihren Haarpflock.

»Erklären Sie sich!«, verlangte Miss Tarabotti, während sie den Druck erhöhte.

»Ich bitte tausendmal um Vergebung.« Der Vampir wirkte verwirrt. »Wer sind Sie?« Vorsichtig tastete er nach seinen Fangzähnen. Verschwunden.

Alexia löste die körperliche Verbindung zu ihm (wobei sie aber die spitze Haarnadel an Ort und Stelle beließ), und seine Zähne wuchsen wieder nach.

Voller Verblüffung keuchte er auf. »Waf find Fie?«, lispelte er um seine Fangzähne herum, aufrichtige Furcht in den Augen. »Ich hielt Fie für eine Dame, ohne Begleitung. Ef wäre mein Recht, von Ihnen zu trinken, wenn man Fie fo forglof unbeauffichtigt gelaffen hätte. Bitte, ich wollte mich wahrhaftig nicht erdreiften«.

Alexia fiel es schwer, bei dem Lispeln nicht zu lachen. »Sie haben keinen Grund, sich so übertrieben pikiert zu geben. Ihre Königin wird Ihnen sicher von meiner Art erzählt haben.« Erneut legte sie ihm die Hand auf die Brust. Die Zähne des Vampirs bildeten sich zurück.

 

 

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